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Ein autarkes Afghanistan?

Von Elham Esmat

Afghanistan ist abhängig von ausländischer Unterstützung. Diese Entwicklung begann schon während der Herrschaft von Amir Abdul Rahman Khan im 19. Jahrhundert und setzte sich über die folgenden Jahrzehnte bis zum Zusammenbruch des Staates zu Beginn der 1990er Jahre fort. 

Blickt man vor allem auf die Zeit der sowjetischen Besatzung zurück, stellt man fest, dass der Staat, die Zivilgesellschaft und bewaffnete Oppositionsgruppen immer mehr von Unterstützung durch konkurrierende internationale Mächte abhängig wurden. Das daraus entstandene Unvermögen, selbstbestimmt zu handeln, hat unter anderem zum Verfall der politischen und sozialen Gesellschaft Afghanistans geführt.

Welche Ausmaße diese Abhängigkeit annehmen kann, sieht man am Beispiel der im August 2021 untergegangenen Republik. Ein Grund für die Dauer des Kriegs war vermutlich, dass einzelne ausländische und afghanische Parteien von dem Konflikt wirtschaftlich profitierten – das Leid der Bevölkerung wurde dadurch verlängert. 

Heutzutage ist das islamische Emirat Afghanistan durch die politische Isolation, des damit einhergehenden Stopps von ausländischen Entwicklungshilfen und das Einfrieren der Reserven der Zentralbank gezeichnet. Daher ist die Ausweitung der Selbstversorgung des Landes ein zentraler Bestandteil der Strategie der Taliban. Eine erfolgreiche Autarkie in Afghanistan darf sich aber nicht nur allein auf das Wirtschaftswachstum konzentrieren, sondern muss auch andere Aspekte wie den Infrastrukturausbau, die Schaffung von Arbeitsplätzen, eine Verringerung der Armut und die Etablierung eines Mindestlebensstandard zur Sicherung der Grundbedürfnisse einschließen.

Diese Bestrebungen spiegeln sich in den aktuellen staatlichen Projekten wider: Der Abschluss großer Bergbauverträge, der Ausbau der Erdölförderung, von Dämmen, Eisenbahnen, Tunneln und insbesondere die zukünftige Fertigstellung des prestigeträchtigen Qushtepa-Kanals.

Ob dadurch ein Wendepunkt für das Land erreicht werden kann, wird sich zeigen. Gerade vor dem Hintergrund, dass vor der Machtübernahme drei Viertel der öffentlichen Ausgaben mit ausländischer Hilfe finanziert wurden. Zur Finanzierung ihrer Projekte greifen die Taliban nach eigenen Angaben weitgehend auf inländischen Einnahmen und Zölle zurück. Zusätzlich zu diesen Einschränkungen priorisiert das Emirat die Deckung laufender Ausgaben (laut Berichten der Weltbank 94,5 % der Gesamtausgaben), welche weit vor den Entwicklungsausgaben (5,5 %) liegen.

Ganz ohne ausländische Unterstützung wird Afghanistan gegenwärtig und mittelfristig nicht auskommen. Gerade als Binnenstaat ist man auf die Zusammenarbeit mit seinen Nachbarn angewiesen, um zum Beispiel Importrouten sicherzustellen. Die zunehmende Autarkie Afghanistans senkt aber auch die Einflussmöglichkeiten des Auslands ein, was unter anderem jüngst zu politischen Spannungen mit Iran und Pakistan geführt hat. 

In jedem Fall muss das Emirat den diplomatischen Balanceakt leisten und genug ausländische Hilfe sowie Investitionen anziehen, um den Weg zur Selbstversorgung ebnen zu können. Es bleibt daher abzuwarten, ob und wie die Taliban in Zukunft zusammen mit den (vor allem westlichen) Geldgebern eine Lösung der strittigen Fragen, insbesondere zu den heiklen Themen Inklusion und Frauenbildung, erarbeiten werden.

Originally posted 2024-03-16 17:59:57.